Der Katzenfurter Spielmannszug
war weit über die Grenzen hinaus bekannt.
(Von Dieter Emmelius, Mäez 2022
Wer an Spielmannszüge denkt, der sieht Menschen in Uniformen, die im Gleichschritt zu bekannter Ram-Tam-Tam-Musik marschieren. Es handelt sich um eine kleine Musikgruppe, die für die Darbietung von Marschmusik eine Marschtrommel, klappenlose Querflöten, Lyren, eine große Trommel und ein Becken nutzen. Ein Tambourmajor, auch Korpsführer genannt, führt in einem Spielmannszug die Musiker an. Er schreitet bei Umzügen mit gemäßigtem Schritt voran und dirigiert als Stabführer die Musiker, indem er mit einem langen geschmückten Tambourstab weit ausholende Bewegungen vollführt. Man findet Spielmannszüge hauptsächlich in Schützenvereinen, Turn- und Karnevalsvereinen und bei der Feuerwehr.
Während der Militärzeit hatten Spielmannszüge so eine Art Hochzeit. Bekannt waren hier insbesondere die Tamboure und Hornisten der Infanterie im 19. Jahrhundert. Die Nationalsozialisten nutzten Spielmannszüge verstärkt zur Selbstdarstellung und zu Propagandazwecken. Das Ende des Krieges machte die Menschen wieder empfänglicher für die Marschmusik und es bildeten sich bundesweit neue Spielmannszüge.
1951 wurde der Katzenfurter Spielmannszug gegründet
Auf Initiative von Willi Jacob (Schilde Willi) wurde 1951 im Turnverein 1901 Katzenfurt e.V. ein Spielmannszug gegründet, deren Leitung in den folgenden Jahren Fritz Diehl aus Ehringshausen übernahm. „Annesbeths Fritz“, so der Dorfname in Ehringshausen, hatte seine Ausbildung zum Stabführer/Tambourmajor bei der Wehrmacht absolviert und er pflegte einen dementsprechenden
Führungsstil, der durchaus gewöhnungsbedürftig war und den ich im Laufe meiner Zugehörigkeit zum Spielmannszug noch ausgiebig kennen lernen sollte.
Wie Kurt Krauß (er spielte jahrelang die Lyra) berichtete, fand vor der Gründung des
Spielmannszuges im Saal der Gastwirtschaft „Zum goldenen Hirsch“ (Hirschwirts oder Bejruste genannt) eine Vorstellung von Spielmannszug Instrumenten statt. Vorgeführt wurden eine Trommel, wie von Willi Jacob mehrmals bravourös mit dem „Parademarsch“ und dem „Locken“ zum Klingen gebracht wurde. „Mein Bruder Horst war von diesem Spiel so begeistert, dass er sich direkt für den Spielmannszug vormerken ließ. Mein Bruder Fritz entschied sich für die Querflöte, die von Fritz Diehl gespielt wurde. Mit 10 Jahren war ich damals noch zu jung um mich anzumelden, was ich dann einige Jahre später nachholte“, so Kurt Krauß.
Tambourmajor Fritz Diehl mit dem Spielmannszug beim Feuerwehrfest 1956 in Ehringshausen.
Beim Festzug in Ehringshausen traten der Katzenfurter Spielmannszug und der Spielmannszug der Freiwilligen Feuerwehr Ehringshausen gemeinsam auf. Nach Aussagen von Edmund Daniel hatte der damalige Ehringshäuser Spielmannszug personelle Probleme, sodass man sich kurzerhand dazu entschloss, gemeinsam mit dem TVK Spielmannszug am Festzug teilzunehmen. Da der Katzenfurter Zug noch keine einheitliche Uniform besaß, wurde hierbei die Ehringshäuser Feuerwehr Uniform getragen. Als sich der Ehringshäuser Spielmannszug in den folgenden Jahren auflöste, schlossen sich die Spielleute Werner Krauß, Otto Dietz, Willi Kreuter und Walter Böhm dem TVK Spielmannszug an.
Meine Spielmannszug Karriere begann 1958
Im Jahre 1958 starteten die Spielleute eine Nachwuchsoffensive in dessen Verlauf auch ich, neben zwei weiteren Freunden von mir, den Spielmannszug kennen lernen wollte. Völlig unbedarft und frei nach Wilhelm Busch:
„Also lautet ein Beschluss,
dass der Mensch was lernen muss“…
begann für uns das Abenteuer Spielmannszug. Gelernt wurde in den Übungsstunden, die freitags im Saal der Gastwirtschaft Lorenz stattfanden. Und dabei ging es von Beginn an mit großer Disziplin und einem gehörigen Druck seitens des Stabführers zur Sache. Fritz Diehl war bekannt für seine deftige Ausdrucksweise und er geizte nicht mit Tadel, wenn die Leistungen nicht nach seinem Gusto waren. Und wenn er überhaupt nicht zufrieden war, dann steigerte er sich auch schon einmal in für ihn typische Schimpfkanonaden, die dann meist im „Ihringschäuser Platt“ auf denjenigen hernieder prasselten. Und das konnte manchmal auch schon beleidigend sein. Die „alten Hasen“ im Spielmannszug waren das gewohnt und sie konnten damit umgehen. Für uns „Neue“ waren solche Lobeshymnen natürlich deprimierend und so kam es auch, dass meine zwei Freunde bereits nach kurzer Zeit das Handtuch warfen und sich wieder verabschiedeten.
Dass ich dabei geblieben bin, ist in erster Linie ein Verdienst von Horst Krauß, der die Trommel hervorragend beherrschte und mich quasi unter seine Fittiche nahm. Das Trommeln habe ich bei Horst im Garten auf einem Hauklotz gelernt. Er war es dann auch, der mich immer wieder motivierte weiterzumachen, wenn Fritz Diehl mal wieder nicht mit meiner Performance einverstanden war. Im Laufe der Zeit habe ich immer mehr dazu gelernt, sodass die Übungsstunden und das Trommeln auch mehr Spaß machten.
Spaß hatten wir vor allem auch nach den offiziellen Übungsstunden, denn danach ging es bei Lorenze Luwi in die Wirtsstob. Und hier bewiesen dann die Spielleute, dass sie nicht nur ihre Instrumente gut beherrschten, sondern darüber hinaus auch eine gesellige Gemeinschaft waren. Und wenn dann das eine oder andere Glas Bier getrunken war, dauerte es nicht mehr lange bis die ersten Lieder angestimmt wurden. Nicht fehlen durfte dabei auf keinen Fall das damals in Katzenfurt bekannte und gern gesungene „Fuhrmannslied“:
Es gibt ja nichts Schön´res
als ein Fuhrmann zu sein,
des Nachts auf der Landstraß‘
bei so hellem Mondenschein….
Richtig stimmig wurde es, wenn uns Fritz Diehl jun. mit seinem „Zerrwanst“ (ähnlich einem Akkordeon, nur kleiner) musikalisch begleitete. Absolute Höhepunkte waren, je nach Stimmung, auch die Darbietungen von Willi Schweitzer, der es meisterhaft verstand, das eine oder andere Gedicht oder Reime in Begleitung einer Pauke vorzutragen. Es waren schöne Stunden, an die ich mich gerne erinnere.
Neben dem Bühnenspiel galt es auch das Straßenspiel zu üben
Gerade das Straßenspiel stellte noch einmal ganz besondere Anforderungen an uns Spielleute. Die Schwierigkeit bestand in erster Linie darin, im Gleichschritt zu marschieren und dabei auch noch im richtigen Rhythmus zu spielen bzw. zu trommeln. Auch das musste immer wieder geübt werden. Unsere Übungsstrecke war die alte Landstraße, die von Sachsenhausen nach Edingen führt. Hier war damals so gut wie kein Straßenverkehr und so konnten wir fast ungestört unsere Bahnen ziehen. Und das nutzte unser Chef auch redlich aus. Und wenn das Spielen nach unserer Auffassung gut geklappt hatte, dauerte es doch eine ganze Weile bis Fritz sich einmal dazu durchringen konnte, indem er uns die Bewertung: „su ugefiehr“ (auf hochdeutsch: so ungefähr) gab. Er hielt es eher nach der Devise: „net gescholle, es aach gelobt“
Öffentliche Auftritte bei Festen und Wettstreiten
Natürlich wollten wir auch das Gelernte zeigen und dies war nur möglich bei entsprechenden Auftritten, die entweder als Bühnen- oder Straßenspiel erfolgten. Als Spielmannszug eines Turnvereins begleiteten wir natürlich die Turner und Sportler des TV Katzenfurt bei den heimischen Turnfesten. In den Festzügen marschierten wir stets vor den Teilnehmern/Abordnungen des Vereins. Darüber hinaus nahmen wir an vielen weiteren Festumzügen anlässlich von Jubiläen und sonstigen Veranstaltungen anderer Vereine teil. Dies waren insbesondere Sänger- oder Feuerwehrfeste.
Wie bei Gesangvereinen üblich, gab es auch für die Spielmannszüge entsprechende Wettstreite, die zur damaligen Zeit meist im benachbarten Siegerland stattfanden. Es dauerte lange, bis wir unseren Stabführer davon überzeugen konnten, dass wir auch an solchen Wettstreiten teilnehmen wollten. Fritz Diehl hatte den Ehrgeiz und das Bestreben, wenn er auf einen Wettstreit geht, will er auch der Beste sein. Und so dauerte es eine ganze Weile bis wir an einem solchen teilnehmen konnten. Ich erinnere mich noch gut an einen Wettstreit im Jahre 1962 in Wahlbach (Siegerland), bei welchem wir hervorragend abgeschnitten haben und einige Preise mit nachhause nehmen konnten.
Festzug beim Kreisturnfest 1958 in Katzenfurt
Vorne: Stabführer Fritz Diehl. Dahinter in der 1. Reihe, von links: Fritz Diehl jun., Karl Diehl, Kurt Krauß (mit der Lyra), Reinhold Mussgnug und Horst Krauß. 2. Reihe von links: Willi Schweitzer, Willi Kreuter, bei den beiden anderen Personen ist das Gesicht verdeckt. 3. Reihe von links: Walter Bettinger, Werner Krauß, Dieter Emmelius und Fritz Krauß. 4. Reihe, links: Alwin Würz mit den Becken und Edmund Daniel (rechts) mit der Pauke.
Fritz Diehl (Mitte) spielte mit dem TVK Spielmannszug 1958 beim Kreisturnfest in der festlich geschmückten Dreschhalle. TVK Vorsitzender Heinrich Emmelius (rechts) ernennt Heinrich Schaub zum Ehrenmitglied. Links: Wilhelm Heller (Hauptkassenwart des TVK).
1962 präsentierte sich der Spielmannszug in neuer Uniform vor der TVK Turnhalle. Vorne von links: Karl Diehl, Fritz Diehl jun., Erich Adam, Kurt Krauß, Edmund Daniel, Dieter Emmelius, Walter Böhm, Willi Jacob und Stabführer Fritz Diehl. Dahinter von links: Erich Herr, Heinz Schmidt (aus Beilstein), Willi Schweitzer, Ludwig Fritzius, Walter Bettinger, Siegfried Hempel, Fritz Krauß, Werner Krauß, Horst Krauß, Reinhold Mussgnug, Otto Dietz und Willi Kreuter. Zur Stammbesetzung gehörten: 8 Trommler, 9 Hornisten (mit Querpfeife), 1 Lyra (Kurt Krauß), 1 Pauke (Siegfried Hempel), 1 Becken (Edmund Daniel) und der Tambourmajor Fritz Diehl.
Zur Stammbesatzung gehörten 8 Trommler, 9 Hornisten (mit Querpfeifen), 1 Lyra (Kurt Krauß), 1 Becken (Edmund Daniel) und der Tambourmajor Fritz Diehl.
Als der Tambourmajor seinen Tambourstab verlor
Höhepunkte für uns waren jedoch immer wieder die Teilnahmen an den Festzügen anlässlich des alle 3 Jahre stattfindenden Ochsenfestes sowie die jährlichen Faschingsumzüge in Wetzlar. Zu diesen Festumzügen strömten Tausende Besucher in die Stadt und es machte uns auch ein wenig stolz, dass wir hierbei mitwirken konnten. Ein Festumzug beim Ochsenfest ist bei uns in besonderer Erinnerung geblieben, denn unser Tambourmajor stand plötzlich im Mittelpunkt des Geschehens. Was war passiert?
Die hohe Schule des Dirigierens mit dem Tambourstab besteht darin, den Stab beim Marschieren nach dem Takt der Musik in die Luft zu werfen und diesen nach einer Reihe von Schritten exakt wieder aufzufangen. Fritz Diehl beherrschte das Dirigieren mit dem Tambourstab aus dem Effeff und so kam es, dass er dieses Kunststück auch bei dem besagten Festzug vorführte. Wir marschierten durch die Wetzlarer Langgasse und die Besucher standen dicht gedrängt rechts und links an der Straße.
Ausgangs der Langgasse warf Fritz den Tambourstab in die Luft und dann passierte das Malheur, denn der Stab landete nach einigen Schritten nicht in den Händen vom Stabführer, sondern er fiel auf die Straße. Fritz Diehl ließ sich natürlich überhaupt nichts anmerken und er marschierte ohne Unterbrechung weiter, als wäre nichts geschehen. Auch würdigte er mit keinem Blick die neben ihm her laufende Frau, die den Stab aufgehoben hatte und diesen natürlich dem Stabführer in die Hand geben wollte. Dieser jedoch dirigierte mit den Händen solange weiter, bis der Marsch zu Ende war und er diesen dann auch per Kommando zum Stillstand des Spielmannszuges beendete. Erst jetzt wandte er sich der sichtlich nervösen Zuschauerin zu und übernahm dann von ihr den Tambourstab. Ob er sich dafür bedankt hat, ist nicht überliefert
Spielmannszug des TV Katzenfurt bei einem Ochsenfestumzug in Wetzlar. Stabfaührer war an diesem Tag Willi Jakob in Vertretung von Fritz Diehl.
In bester Erinnerung sind auch noch die jährlichen Grillfeste auf der Katzenfurter „Rieh“ sowie einige auswärtige Auftritte. So zum Beispiel beim Hessentag 1968 in Viernheim, wo wir bei sengender Hitze von 36 Grad am Festzug teilnahmen. Es war so heiß, dass sich der Asphalt von der Straße löste und die Festzugteilnehmer von Anwohnern aus Gartenschläuchen mit Wasser abgekühlt wurden. Im Rahmen einer 2 Tagesfahrt reisten Katzenfurter Fußballer und der Spielmannszug nach Rheinhessen, um unseren ehemaligen Katzenfurter Fritz Beck in Stadecken zu besuchen. Nach einem Fußballspiel Stadecken gegen Katzenfurt (das Ergebnis ist nicht mehr präsent) gaben wir am Abend ein Konzert im Gasthaussaal. Am Sonntagmorgen marschierten wir mit klingendem Spiel von der Dorfmitte aus zum Weingut von Fritz Beck, wo wir den Besuch nach einer ausgiebigen Weinverkostung beendeten, um danach die Heimreise in bester Stimmung anzutreten.
Aus dem Spielmannszug wird ein Musikzug
Es entsprach dem Zeitgeist, dass Ende der 1960er Jahre landesweit Spielmannszüge auf Musikzüge umgestellt wurden. Da auch der Katzenfurter Spielmannszug mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen hatte, entschied man sich 1969, dem allgemeinen Trend folgend, einen Musikzug ins Leben zu rufen. Unter der Leitung von Joachim Roos und Reinhard Wahl entwickelte sich im Laufe der Jahre ein erfolgreiches Ensemble, welches als Blasmusik bis zum Jahr 1990 existierte.